AKTUELLES SCHULEWIRTSCHAFT Saarland

Interviews

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SCHULEWIRTSCHAFT Saarland zu Besuch bei ...

Nele Hirsch, eBildungslabor

Was braucht zeitgemäßer Distanzunterricht? Heute gibt uns Nele Hirsch einen Blick in die aktuellen Themen einer Bildungswissenschaftlerin aus ihrem Blog.

Es erstellen sich 14 Menschen pro Sekunde einen neuen Social-Media-Account. SCHULEWIRTSCHAFT Saarland ist nun auch auf Twitter und LinkedIN unterwegs. Wie nutzen Sie die Kanäle und welchen Mehrwert sehen Sie für Ihre Arbeit?  

Ich nutze vor allem Twitter. Toll finde ich hier die Vernetzung mit Pädagoginnen und Pädagogen aus unterschiedlichen Bildungsbereichen und auch mit Kolleginnen und Kollegen, die in anderen Bereichen arbeiten. Das sorgt für sehr viele Perspektiven und immer wieder neue Inspirationen. Und ich mag es auch sehr, eigene Überlegungen, Ideen und Erfahrungen zu teilen und Feedback dazu zu bekommen. Oft haben sich darüber auch schon gemeinsame Projekte ergeben.
 

Mit der Pandemie und durch Social Distancing hat sich das Leben und die Erwartungshaltung vieler Menschen verändert. Wie hat sich Ihrer Meinung nach Schule verändert?

Viele Schulen standen von heute auf morgen vor der Herausforderung ihre Unterrichtsmodelle in Präsenzform so umzugestalten, dass auch Lehren und Lernen aus der Ferne möglich ist. Da mein Fokus auf Lernen und Lehren in einer Kultur der Digitalität liegt, habe ich mit mich unter anderem mit der Frage eines funktionierenden Distanzunterrichts auseinandergesetzt.


Wir schauen heute auf Ihren Blogbeitrag zum Thema Distanzunterricht und fragen nach, wie so ein digitaler Unterricht gut gelingen kann. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein und wie kann eine für beide Seiten erfolgreiche Umsetzung gelingen?

Viele großartige Schulen machen aktuell vor, wie sie mit existierender digitaler Infrastruktur und einem technisch-affinen Kollegium wunderbaren Distanzunterricht gestalten. Es geht aus meiner Sicht aber weniger um die existierende Technik und die technische Affinität der Lehrenden, sondern vielmehr die in diesen Schulen gelebte Praxis von Beziehung, Vertrauen, Kollaboration, Offenheit und Freiraum.


Könnten Sie uns erklären, was Sie unter diesen Kategorien verstehen und wie sie zusammengedacht werden können für Lehrende und Lernende?

Mit Beziehung ist gemeint, dass Lehrerinnen und Lehrer Interesse an ihren Schülerinnen und Schülern haben, ihre Entwicklung gerne und mit Freude begleiten und möchten, dass es ihnen gut geht. Solche Lehrkräfte suchen jetzt im Distanzunterricht den Kontakt zu ihrer Schülerschaft, fragen nach, wie es ihnen geht und geben persönliches Feedback.

Vertrauen beinhaltet, dass zwischen Lehrern und Schülern eine vertrauensvolle Beziehung besteht. Dazu gehört ein respektvoller Umgang miteinander. Ebenso gehört dazu, dass Lehrer den Schülern zutrauen und vor diesem Hintergrund nicht auf ständige Kontrolle setzen, sondern z.B. projektorientierte Lerngebote gestalten. Auf der anderen Seite gehört dazu, dass Schüler dieses Vertrauen wertschätzen und gelernt haben, damit umzugehen. Guter Distanzunterricht ist dann möglich, wenn bereits zuvor in vertrauensvollen Umgang investiert und das Lernen auf dieser Basis eingeübt wurde.

Mit Offenheit ist gemeint, dass Schule als Organisation und die darin beteiligten Akteure bereit sind, sich auf neue Situationen einzulassen und diese aktiv zu gestalten. Konkret auf die Corona-Situation übersetzt, bedeutet das: „Wir befinden uns in einer Pandemie. Was kann und was sollte unsere Schule in dieser Situation leisten?“ Schulen, die sich auf diese Frage einlassen und versuchen Lösungen und neue Ideen zu entwickeln, sind oft die Schulen, die schon zuvor z.B. darüber nachgedacht haben, was Lernen in einer Kultur der Digitalität bedeutet, wie sich Bildung verändern muss oder wie Lehren in sehr heterogenen Lerngruppen gelingen kann.

Der Begriff Kollaboration steht dafür, dass Herausforderungen an der Schule kollaborativ angegangen werden und Lehrerinnen und Lehrer sich als Teamplayer verstehen. Außerdem gehört dazu, dass Schüler über ihre Schule mitbestimmen und mitentscheiden und Eltern ebenfalls einbezogen sind und mitgestalten können. Darüber hinaus bedeutet Kollaboration auch, den Austausch mit anderen Schulen und außerschulischen Akteuren zu suchen. An Schulen, an denen es eine solche kollaborative Praxis gibt, ist es selbstverständlich, dass auch die Herausforderungen des Distanzunterrichts kollaborativ angegangen und gemeinsam nach Lösungen gesucht wird. Und wenn viele Menschen gemeinsam denken, entstehen klügere Lösungen, als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht.

Mit Freiraum ist gemeint, dass Schulen für sich Wege und Möglichkeiten gefunden haben, um Zeit zu haben für gute Bildung, die nicht durch enge Fächerkorsette, 45-Minuten-Takt und starre Klassenstruktur dominiert wird. Und, die damit verbunden, den Mut hatten, diese traditionelle Struktur zu überwinden. Zusammen mit der Komponente des Vertrauens sind durch diesen entwickelten Freiraum auch jetzt im Distanzunterricht übergreifende und oft projektorientierte Aufgabenstellungen und Lernangebote möglich.


Was bedeutet das für die aktuelle Situation?

Wenn ich die aktuelle Situation beobachte (sowohl als eine im #twitterlehrerzimmer vernetzte Pädagogin, die zahlreiche Lehrkräfte-Fortbildungen gibt, als auch als Mutter mit zwei Kindern im Distanzunterricht), dann finde ich insbesondere spannend, dass der Distanzunterricht wie durch ein Mikroskop überdeutlich sichtbar werden lässt, wenn es an den genannten Aspekten an einer Schule fehlt. Deshalb führt eine bessere technische Ausstattung aus meiner Sicht auch nicht automatisch zu besserem Distanzunterricht. Das ist natürlich kein Plädoyer dafür, dass die technische Infrastruktur unwichtig ist. Zeitgemäß wird Bildung aus meiner Sicht aber nur mit und nicht durch diese sehr erwünschte Technik. Grundlegend ist die dargestellte veränderte Haltung.


Die spannende Frage ist also: Wie schafft man es, dass Vertrauen, Beziehung, Offenheit, Kollaboration und Freiraum zur neuen Normalität an allen Schulen werden?

Ich habe dazu viele Ideen und Wünsche. Beispielsweise könnten in offiziellen Lehrkräfte-Fortbildungen Meta-Kompetenzen wie Selbstlernen, Kollaboration und Vernetzung einen deutlich größeren Stellenwert erhalten als eine direkte Vermittlung von oft technischen Kompetenzen.

Es braucht noch viel mehr Räume für Austausch und Vernetzung an Schulen und zwischen Schulen sowie mit außerschulischen Partnern. Toll fände ich vor allem auch eine Art Patenschaftsprogramm/“Entwicklungshilfe“ zwischen Schulen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben und Schulen, die noch ganz am Anfang stehen.

Solange Lehrkräfte in Hinblick auf den Aspekt des Freiraums von politischer Seite eher Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen, als Unterstützung zu erhalten und vor allem, solange die zeitlichen Möglichkeiten weit hinter dem zurückbleiben, was nötig wäre, ist es oft nur dem außerordentlichen Engagement von sehr vielen Lehrkräften zu verdanken, wenn gute Bildung stattfindet. Das Ziel muss hier sein, dass Lehrkräfte gute Bildung gestalten können, ohne dabei massiv Überstunden zu machen.

Weitere Beiträge von Nele Hirsch über:

https://ebildungslabor.de/blog/

Bildungswissenschaftlerin Nele Hirsch